Steinfeld: „Mit der Epoche der Aufklärung …hat die ‚Islamkritik‘ nichts zu tun.“

In einem vom Perlentaucher vehement beargwöhnten Nachfolgeartikel zu seinem brillanten „Unsere Hassprediger“ verdeutlicht Thomas Steinfeld einmal mehr die Scheinheiligkeit der heutigen VerteidigerInnen von Aufklärung, christlichem Abendland, sowie – nicht zu vergessen! – Feminismus. Ohne die Fähigkeit zur Selbstkritik bzw. ohne Kenntnisse der Geschichte dessen, was man so vehement zu repräsentierten behauptet, bleibt die Aufklärung Folklore und das sog. christliche Abendland eine Kreufahrerbastion:

Christentum und Islam, möglicherweise auch das Judentum, neigen zum Fundamentalismus, wenn man sie nach ihrem eigenen Ermessen walten lässt. Denn jede dieser Religionen beansprucht nicht nur die letzte Wahrheit für sich, sondern will auch praktisch wirksam sein. Jede beherrscht den Übergang von der Privatreligion zum höchsten Sachwalter der sittlichen Gemeinschaft – und zurück, also die Anpassung an die säkulare Macht. Letzteres, also die Anpassung an Staat und Gesellschaft, hat seit einigen Jahrhunderten in Deutschland zuverlässig funktioniert. Das Wort dafür lautet: Religionsfreiheit. Wenn dagegen nun „Islamkritiker“ den Aufstand der Mehrheit gegen eine Minderheit organisieren wollen und das Ende der Toleranz für den Islam verlangen – was geschieht dann, ganz praktisch betrachtet? Wie sollte eine solche negative Vergesellschaftung vollzogen werden? Durch Ausweisung aller bekennenden Muslime nach Asien oder Afrika? Durch Einrichtung von Ghettos innerhalb Deutschlands? Durch eine gigantische Umerziehung nach dem Modell der Entnazifizierung, eine Zwangsbekehrung zum Säkularen?

Zudem geht es in Steinfelds Artikel um die Bedeutung von Religionskritik an sich: Fungierte diese jahrzehntelang als Feigenblatt für alle, die ihrer eigenen Oberflächlichkeit ein bißchen künstliche Tiefe zu verleihen suchten („Kein Bock auf Kirchgang – Schuld sind nur der Papst und die Kondome!“), ist sie mehr und mehr zur Waffe einer Intoleranz degeneriert, die es doch nur gut meint mit „uns“, aber nicht „denen“:

Mit der Epoche der Aufklärung, auf die sie sich beruft, hat die „Islamkritik“ nichts zu tun. Denn die historische Aufklärung verfolgte den Religionen gegenüber drei Ziele: die Freiheit der Religionen und die Freiheit von den Religionen, die Philologie der kanonischen Texte und die Historisierung, also die Einbettung der Konfessionen und ihrer jeweiligen heiligen Texte in ihren geschichtlichen Zusammenhang. Alle drei Ziele sind den sogenannten Islamkritikern nicht nur von Grund auf fremd, sondern ihren Bestrebungen entgegengesetzt: Der Islam darf, ihrer Überzeugung nach, nicht in den Genuss der Religionsfreiheit kommen, solange er nicht, wie das Christentum seit der Entstehung bürgerlicher Staaten, zwischen religiösen Werten und gesellschaftlicher Realität trennt. Er darf nicht Gegenstand der verstehenden Analyse sein, vor allem nicht der Islam in seiner radikalisierten Form. Und er darf schließlich nicht Gegenstand der Historisierung sein – vor allem die kriegerische Unterwerfung Mekkas im Jahr 630, die doppelte Funktion Mohammeds als Prophet und politischer Führer, soll bis heute als Muster des Umgangs des Islam mit Andersgläubigen gelten. Den Muslimen gegenüber wird ein Verdacht ausgesprochen, der, zumindest in anderen Zusammenhängen, den Rassismus ausmacht: So seien die Muslime eben, beleidigt, rachsüchtig, unfähig zur „Selbstkritik“, unwandelbar, unverbesserlich – eben absolut böse.

Und schon wieder die falsche Ausfahrt genommen:

Das absolut Böse aber ist eine bemerkenswert fromme Idee, insbesondere für Leute, die sich selber für überzeugte Säkularisten halten. Andererseits entspricht sie genau dem, was sie wollen – denn schon die Frage nach Gründen gilt ihnen als Zeichen der Schwäche. Wer nach Motiven für den Fanatismus radikaler Muslime fragt, soll schon deren Komplize sein. Wer über die Bedingungen der Möglichkeit politischer Radikalisierung junger muslimischer Männer im frühen 21. Jahrhundert nachdenken will, wird sofort als „Gutmensch“ denunziert. Das ist radikal und gehorcht der Logik: Wenn jedes Argument die Entschlossenheit des Westens zersetzt – dann ist in Wahrheit die aufklärerische Vernunft der innere Feind des Westens, so wie der Islam sein äußerer ist.

Remember: George W. Bush, der die Kategorie des Bösen nicht zuletzt durch seine Wortschöpfung Achse des Bösen in die globale Außenpolitik (wieder) eingeführt hat, ist bekennender Born-Again Christian. Man kann ihm so einiges vorwerfen – und man sollte es auch, denn beispielsweise spricht kein Mensch mehr vom Irak. Doch anders als die nicht-religiösen Eiferer gegen den Islam scheint Bush II einigermaßen verstanden zu haben, worin die Quellen seiner Überzeugung bestehen.

8 Gedanken zu “Steinfeld: „Mit der Epoche der Aufklärung …hat die ‚Islamkritik‘ nichts zu tun.“

  1. Der Steinfeld, immer wieder lesenswert. Negative Vergesellschaftung, ein schöner Begriff, der beschreibt, was diese angeblichen Islamkritiker wohl diffus wollen bzw. was sie unausgesprochen fordern.

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  2. AzUL (Hallo auf thmazight),

    Ich verfolge die Diskussion rund um die Islam/islamkritik SZ vs. FAZ sehr aufmerksam. Ich muss sagen, dass ich mit der gesamte Situationsanalyse vom Thomas Steinfeld einverstanden bin.

    vor allem diese Paragraph:
    « Von den Kritikern des Islam ist daher zu erwarten, dass sie endlich offenlegen, wie sie mit dem Islam in Deutschland umgehen wollen. Sie haben zu zeigen, wie sie mit wem reden, wie sie mit wem umgehen wollen. Sie haben zu erklären, wie und warum sie als Liberale für die präventive Einschränkung der Religionsfreiheit sind und was sie daraus an praktischen Schlüssen ziehen wollen: nicht für Iran, nicht für den Jemen, nicht für die Taliban, sondern hier, für das eigene Land. Solange sie das nicht tun, muss man annehmen, dass sie den Islam gar nicht kritisieren wollen, sondern vertreiben. »

    einfach klasse zusammenfassen der Situation

    Mit amazighische gruesse
    aus Thamazgha (nord Afrika)
    Massin

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