Rensmanns Rezept

Lars Rensmann hat gar nicht einmal unrecht, wenn er in seinem im Rahmen der von der taz veranstalteteten Israel-Kolumne erschienenen Artikel „Wir Israel-Kritiker“ auf Abgründe vermeintlicher Palästinasolidarität hinweist – und „manche[n] Linken“ nichts Anderes vorwirft als Winnetou-Romantik:

Manche Linke spielen den islamistischen Antisemitismus jedoch herunter. Sie schauen weg, wenn islamistische „Märtyrer“ judenfeindliche Gesänge anstimmen oder einem Gewaltkult frönen, und fühlen sich selbst dann noch moralisch überlegen, wenn sie mit türkischen Rechtsradikalen in einem Boot sitzen. Dies kündet von einem „verdrehten Orientalismus“ unter postkolonialen Vorzeichen, der die Leiden der Palästinenser instrumentalisiert. In Reproduktion romantisierender Vorstellungen vom „edlen Wilden“ erscheinen die Palästinenser als grundsätzlich gut und immer als Opfer, nicht aber als handelnde Subjekte mit eigenen Ideen und eigener Verantwortung. Solche Schwarz-Weiß-Malerei führt zwangsläufig zu Zerrbildern – nicht nur von der israelischen, sondern auch von der palästinensischen Gesellschaft mit ihren inneren Konflikten, Widersprüchen und Akteuren. Wem es aber um die Rechte der Palästinenser geht, der muss auch die Hinrichtungen von Dissidenten, die Entrechtung von Frauen und Schwulen durch die Hamas in Gaza oder die systematische Ausgrenzung der Palästinenser im Libanon erwähnen.

Stattdessen plädiert Rensmann für eine Perspektive, die er den „kosmopolitische[n] Blick“ nennt. Mein Problem mit dieser Perspektive: Sie ist weder kosmopolitisch, noch weist sie auch nur den geringsten Blick für irgendetwas auf. Bei Rensmanns Rezept gegen den von ihm zurecht scharf kritisierten Dritte-Welt-Romantizimus zahlreicher linker Palästina-Fans handelt es sich um nichts Anderes als ein Beharren auf sattsam bekannte Dämonisierungen pro-likudistischer Coleur. Nach dieser Logik muss man zuerst der Bombardierung Teherans zustimmen, um dann überhaupt das Recht zu haben, um eine kleine Anfrage in Bezug auf Israels Siedlungspolitik einzureichen:

Eine kosmopolitische Sicht muss die Perspektive der Anderen einnehmen. Sie darf aber keine Kompromisse bei elementaren Menschenrechten und der Ablehnung von Antisemitismus und Rassismus machen und nicht mit zweierlei Maß messen. Wer Israel angesichts der teils menschenverachtenden Diktaturen in der Region zur „größten Bedrohung im Nahen Osten“ stilisiert und den Antisemitismus und Autoritarismus von Hamas, Hisbollah und Ahmadinedschad verharmlost, der ist kein guter Ratgeber, wenn es um Frieden im Nahen Osten geht.

Diesen Ausführungen stellt Rensmann bezeichnenderweise die ja durchaus richtige Einsicht voran:

Klare Feindbilder haben noch keinen Konflikt gemildert.

Nach Lektüre des Artikels von Lars Rensmann bleibt bei mir der Eindruck, dass es Rensmann um Konfliktmilderung auch gar nicht geht. Die Konsequenz hinsichtlich der Frage nach einem  angemessenen Umgang mit Ereignissen und Entwicklungen in Israel-Palästina ist angsteinflößend: Demnach bemißt sich Solidarität ausschließlich nach der Entscheidung zwischen Likud und Ahmadinejad. Entweder oder. Carl Schmitt revisited? Geht es nicht auch anders?

9 Gedanken zu “Rensmanns Rezept

  1. Danke für Ihr Interesse und ihren Kommentar. Doch was unterstellen sie mir da? „Nach dieser Logik muss man zuerst der Bombardierung Teherans zustimmen, um dann überhaupt das Recht zu haben, um eine kleine Anfrage in Bezug auf Israels Siedlungspolitik einzureichen.“ Das soll meine Logik sein? Wo bitte schön, behaupte ich das, wo habe ich jemals für eine Bombardierung Teherans plädiert? Dafür gibt es im Text (und auch sonstwo bei meinen Veröffentlichungen) keinerlei Anhaltspunkt. Dies ist ist eine wahrheitswidrige Verfälschung meiner Aussage. Ich bitte Sie, das zu revidieren. Mir sind meine iranischen FreundInnen sehr wichtig. Anders als viele meiner Kollegen schreibe ich im Übrigen seit langem gegen jeden Schmittianismus, dies nur nebenbei.

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    1. Vielen Dank für die prompte Reaktion! Meine Kritik gilt am ehesten dem Schema Ihrer Argumentation – ich entdecke in Ihrem Text einfach zuviel „pattern“ – Arabische Antisemiten und Homosexuellenfeinde, die noch dazu Palästinenser unterdrücken. Andererseits Palästinenser, die – kaum indirekt – von Ihnen im Zuge einer Gleichsetzung von Hamas, Hizbullah und dem iranischen Präsidenten – in einer Reihe stehen mit Islamfaschisten. Mir hat nur noch die Einbeziehung Hadj Amin Al-Husseinis gefehlt. Das mit der Bombardierung Teherans ist eine Zuspitzung meinerseits – aber das haben Sie sicher auch selbst erkannt.
      Noch eine Frage meinerseits: Wer sind denn Ihre „Kollegen“?
      Und das mit dem Anschreiben „gegen jeden Schmittianismus“ hätte Ihnen auch überzeugender gelingen können als in dem besagten taz-Artikel, oder?

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  2. In der Tat, eine brachiale Zuspitzung, zu der der Text keinerlei Anhaltspunkt bietet. Deshalb bitte ich Sie diese Unterstellung zu revidieren. Genauso „zuspitzend“ ist ihre nun folgende irreführende Behauptung, ich würde Palästinenser über einen Kamm scheren und mit Hamas gleichsetzen. Solche Polarisierungen sind leider die üblichen Reflexe der „Israel-Debatte“. Der Text versucht gegen genau diese übliche Logik der Zuspitzung und Entdifferenzierung zu argumentieren. Da ist keinerlei Schmitt drin. Aber was machen Sie daraus? Sie „spitzen“ so lange zu, bis die Argumente so zur Unkenntlichkeit entstellt sind, dass Sie mit am Ende Schmittianismus unterstellen. Ist das wirklich ein guter Ansatz, die „Logik der Zuspitzung“? Fragen Sie Palästinenser im Gaza-Streifen. Viele Menschen dort finden es erniedrigend, wenn man behauptet Gaza sei ein Konzentrationslager und sie leideten Hunger. Sie wollen Sicherheit und eine vernünftige Lebensperspektive, keine „Zuspitzungen“. Und sie stimmen eben keineswegs alle der Schwulenverfolgung oder der Religiösierung des öffentlichen Lebens zu, mit der einige Linke in Europa offenbar keine Probleme haben. Auf solche Realitäten will ich aufmerksam machen. Und Sie machen Schmitt daraus.

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    1. Danke für Ihre Anmerkungen, doch fehlte es mir nach der Lektüre Ihres taz-Artikels an Vertrauen, dass es Ihnen um Realitäten und nicht um Freund-Feind-Bestimmung geht. Und: So ganz ohne Polarisierungen kommt Ihr Artikel eben auch nicht aus. Ihr Einwand „Fragen Sie mal Palästinenser in Gaza“ mutet eher zynisch an – und mir geht es, ähnlich wie Ihnen, eben auch darum, Palästinenser als handelnde Subjekte ernstzunehmen.
      Dass meine Zuspitzungen den Bewohnern von Gaza nicht weiterhelfen, weiss ich aber selbstverständlich auch selber. Aber eine Frage haben Sie noch nicht beantwortet: Wer sind denn diese „Kollegen“ von Ihnen?

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  3. Es gibt einen weitverbreiteten „linken Schmittianismus“ in der politischen Theorie seit Anfang der 1990er Jahre. Diese Schmitt-Renaissance ist aus vielen Gründen ausgesprochen problematisch, u.a. aber auch, weil sie Fragen von Menschenrechten und Demokratisierung überwölbt. Zur frühen Kritik William Scheuerman, Between the Norm and the Exception (1997).
    Auf meine Aufforderung, ihre „zugespitzte“ Behauptung, ich wolle Teheran bombardieren zu revidieren, haben Sie nicht reagiert. Wem hilft so was? Ich bitte Sie nochmals, das zurückzunehmen und die Diskussion sachlich zu halten, anstatt solche grotesken Behauptungen aufzustellen, die einfach unwahr sind.

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    1. Mit der Zuspitzung spreche ich das Umfeld an, in welchem ich Sie und Ihre publizistische Tätigkeit sehe – daher auch mein Insistieren auf die Beantwortung meiner Frage nach Ihren Kollegen. Möglicherweise handelt es sich bei meiner Herangehensweise eher um eine „Diskurskrankheit“ und vielleicht mache ich mich – und hier geht es mir um das fehlende Vertrauen, das ich Ihrem „kosmopolitischen Blick“ zuzubilligen bereit bin – auch der guilt by association schuldig – aber für mich gehören Sie zu jenen Israel-Apologeten, die mit dafür gesorgt haben, dass Israelsolidarität und Kampf gegen Antisemitismus auf den Hund gekommen sind. Ich gebe zu, Ihre von Gessler (Quelle: ausgerechnet der Perlentaucher), den ich zu ebenjener Autorenschar ebenfalls zurechne, hochgelobte Untersuchung „Demokratie und Judenbild“ nicht gelesen habe, deshalb gehe ich sicher meinen eigenen Vorurteilen auf dem Leim. Jedenfalls können Sie so sicher verstehen, wie es meinerseits zu besagter Zuspitzung hat kommen können. Unfair wie ich bin, war mein erster Gedanke, als ich Ihre Auskünfte bezüglich Ihrer Freunde im Iran las, ausgerechnet der Iraqi National Congress
      Wie gesagt, wahrscheinlich bin ich sehr ungerecht, und der verstorbene Tony Judt hatte recht, als er anmerkte: „You cannot help it if idiots and bigots share your views for their reasons.“

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  4. Nun verlassen Sie leider endgültig die Basis einer sachlichen Diskussion. Anstatt auf Argumente einzugehen, operieren Sie in der Tat mit „guilt by association“–und dann noch dazu mit einer association, die ausschließlich Ihrer Phantasie entspricht. Die erwähnten iranischen FreundInnen haben mit dem Iraqi (sic!) National Congress nichts zu tun, genauso wenig wie ich, und wollen keine Bomben auf Teheran, wie gesagt. Weil Sie assoziieren kommt es Ihrerseits zur Zuspitzung—das ist schlicht selbstreferentiell. Dann assoziieren Sie mal schön weiter. Ich dachte, Sie seien–trotz ihres unwahren Tatsachenbehauptung zu Beginn, auf deren Korrektur ich noch warte–an einer ernsthaften Diskussion an der Sache interessiert. Habe mich offenbar geirrt. Bleiben sie beim festgezurrten Weltbild, das sich apriori auf sich selbst bezieht, so etwas mag ja Halt verschaffen. Und unterstellen Sie anderen Rezepte, die nur Ihrer Vorstellung entstammen. Schade ist das schon.

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    1. Haben Sie möglicherweise übersehen, dass ich dass Q dick markiert habe? Und kommen Sie mir nicht mit Betroffenheit, weil ich die „Basis einer sachlichen Diskussion“ verlassen hätte. Wer sind Sie, dass Sie allein in der Lage sind zu definieren, worin Sachlichkeit besteht, wo Sie kaum in der Lage sind, sprachliche Nuancen überhaupt als solche zu erkennen.
      Wo wir bei festgezurrten Weltbildern sind: Es ist Ihnen also auch entgangen, dass ich mich selbst der Unfairniß bezichtigt habe – ich bin durchaus bereit und willens, mich eines Besseren belehren zu lassen. Wer darauf nicht eingegangen ist, das sind Sie.
      Zum Abschluss dieses Austauschs: Mir ist bewusst, dass die Voraussetzung für diese „Battle“ nicht dieselben waren und sind: Sie haben immerhin mit Ihrem Namen für die Sache, die vertreten bzw. Sie vorgeben zu vertreten, gebürgt. Insofern gebürt Ihnen, auch wenn Sie Ihr Themenfeld gewissermaßen zum Beruf gemacht haben – ich habe das nicht! – mein Respekt, ob Sie ihn von mir annehmen, oder nicht…
      Was unser Austausch exemplarisch gezeigt hat: Kommunikation in Sachen Nahost wird solange hierzulande eine schwierige Angelegenheit bleiben, solange gegenseitiges Vertrauen nicht vorhanden ist.
      Wir haben nun kaum etwas getan, dass dieses Vertrauen herstellen könnte – aber diese Einsicht biete ich Ihnen am Schluss als Resumee an.

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  5. Auch von mir ein letztes Wort: Ich habe kein Deutungsmonopol auf irgend etwas. Ihre Teheran-Schlußfolgerung, da werden Sie wohl mir zustimmen, ist indes ebenso unsachlich wie solche guilt by association-Hypothesen, zumal sie jeder Grundlage entbehren. Ist das wirklich strittig? Ich glaube schon, dass ich in der Lage bin, sprachliche Nuancen zu erkennen und habe dennoch ihr–ein wenig verstecktes, da gleich im nächsten Satz wieder ein Stück affirmiertes–Eingeständis von Unfairness überlesen. Mea culpa. Den von Ihnen gezollten Respekt nehme ich gerne an. Viele Freunde macht man sich damit nämlich nicht. Mein Resümee–Vertrauen mag fehlen ja, die Kommunikation ist schwierig, aber auch ein bisschen weniger Logik der Zuspitzung täte der Sache gut. Da nehme ich mich selbstverständlich mit ein.

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