Über Blumenthal, Sheen, Gysi und so weiter

Was mit Max Blumenthal und David Sheen in Berlin passiert ist – vielleicht passt das in einen Zusammenhang mit dem, was Aram Lintzel kürzlich in Bezug auf deutsche Erinnerungskultur anmerkte:

Wenn die Holocaust-Erinnerung tatsächlich so durchgesetzt und hegemonial wäre, wie die Gedenkkritiker behaupten, dann hätte es 2014 keinen aufgewärmten Streit über den Ersten Weltkrieg und keine Mauerballons geben dürfen. Dann hätte einzig der ungarischen Juden gedacht werden müssen, die vor 70 Jahren vergast wurden. Allein von Mai bis Juli 1944 wurden über 400.000 nach Auschwitz deportiert.

Der politische und mediale Offenbarungseid zum 9. November: Nachdem Wolf Biermann im deutschen Bundestag die parlamentarische Linke in die Ecke gestellt hatte, versuchten Gysi und Co aus selbiger herauszukommen. Dass ausgewiesene Israel-Kritiker wie Blumenthal und Sheen unter der Ägide einiger namhafter Linken-Politikerinnen öffentlich über Palästina, Gaza und die im Sommer ermordete Familie Kilani sprechen wollten, war nichts weniger als ein Super-GAU, wo man doch alles tun wollte, um von seinen politischen Gegnern und ihren medialen Erfüllungsgehilfen wieder zurück in den Sandkasten gelassen zu werden.

Und so mussten die Damen Höger, Groth und Hänsel zum Rapport, um sich zu entschuldigen. Aber das genügte nicht allen in der Partei, die sich bekanntlich anschickt, mit Bodo Ramelow in Thüringen den ersten linken Ministerpräsidenten zu stellen:

Nach mehrstündiger Diskussion in geschlossener Sitzung teilte ein Fraktionssprecher aber auch mit: „Gleichwohl verurteilt die Fraktion auf das Schärfste das Agieren gegenüber dem Fraktionsvorsitzenden.“ Wer „uns oder unsere Genossen“ so feindselig behandele wie an diesem Montag, „mit dem werden wir nicht kooperieren“. Die Entschließung wurde mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung angenommen.

Auch der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei attackierte die drei Politikerinnen: „Die heutige Entschuldigung der MdB Groth, Höger und Hänsel gegenüber Gregor Gysi ist das Mindeste“, schrieb der Parteimanager auf Facebook. „Als Konsequenz der untragbaren Ereignisse ist dies aber völlig unzureichend. Ein solches Verhalten ist mit meinem Verständnis linker Politik und politischer Kultur nicht vereinbar.“

Zurück zum Eingangszitat: Wäre  der ungarischen Juden von seiten des Bundestags oder der Bundesregierung gedacht worden – wir hätten es bestimmt erfahren. Dass die Shoa am 9. November überhaupt zum Thema wurde, dafür haben Blumenthal und Sheen gesorgt. Und das wird ihnen nicht verziehen. Nicht von Gysi, nicht von Pau, nicht von Volker Beck – nicht von Deutschlands Meinungsmachern. Und nicht von „Journalist“ Benjamin Weinthal.

Rhizom ist nur zuzustimmen:

Wenn es um den Nahostkonflikt geht, dann wird aus bundesdeutschen Medien schnell eine unerträgliche Mischung aus BILD-Zeitung und Aktueller Kamera.

Shoa-Gedenken im deutschen Herbst 2014. Was es eben auch bedeuten kann, wenn aus den Verbrechen der Nazis keine Lehren gezogen werden, erlebt man momentan nur allzu deutlich.

9 Gedanken zu “Über Blumenthal, Sheen, Gysi und so weiter

  1. Und die humanistische Lehre aus Auschwitz (im Gegensatz zur zionistischen): „Nie wieder für alle!“, wird dabei mal wieder unter den Teppich gekehrt. Ach, wenn man daran erinnert, ist man ja -je nachdem- Antisemit, selbsthassender Jude, Verschwörungstheoretiker, naiver Gutmensch etc. Dieses Land, das durch seine ach so demokratische „politische Kultur“ immer noch Schindluder mit dem Gedenken an den Toten der Shoa treibt, hat eine seriöse Gegenöffentlichkeit bitter nötig, die sich auch zu einer moralisch konsequenten Stellungnahme zum sog. „Nahost-Konflikt“ traut. Und auch die Konfrontation mit den antideutschen Scharlatanen und anderen traurigen Gestalten nicht scheut. Ganz so drastisch wie Blumenthal muss man ja nicht werden, der von JSIL und Volker Beck als „shabbos goy of the Israel lobby“ spricht. Vielleicht wäre mal eine Übersetzung von David Sheens Stellungnahme auf Mondoweiss ein Anfang: http://mondoweiss.net/2014/11/confronted-gregor-gysi . Und sei es auch nur, um wenigstens einigen Menschen Denkanstösse zu gebe. Denn im Mainstream scheinen ja Blumenthal und Sheen schon als „irre“ oder „extreme Israelkritiker“ desavouiert zu sein.

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    1. Es ist in der Tat eine dicke, fette Lüge bzw. Naivität, dass der Zionismus eine Antithese zum Faschismus wäre. Nicht in seiner Entstehung und nicht inhaltlich; der Weg zur Nakba in Palästina war bei Hitlers Machtantritt in Deutschland schon vor“gezeichnet“. Die Verwendung des Holocaust im zionistischen „Diskurs“ ist übrigens relativ neu. Segev hat in „Die siebte Million“ darüber einiges geschrieben; in der israelischen Gesellschaft gabs scharfe Reaktionen darauf, in Deutschland hat ihn sich die „Jungle World“ vorgeknöpft.

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    1. Soso… Nein, Auschwitz (und nicht nur das) soll keine „Besserungsanstalt“ für Juden sein, sondern vielmehr eine Mahnung an die gesamte Menschheit. Was zum Teufel ist an „never again, for everyone“ denn bitte antisemitisch? Im Gegensatz zu strukturellen Antisemiten (also gerade Zionisten und Antideutsche, wobei es unter ersteren wenigstens noch integre Menschen wie Larry Derfner oder solche mit einigen Funken Anstand wie Reuven Rivlin gibt) sehe ich Juden und jüdische Israelis (beides ist NICHT gleichzusetzen) eben als Menschen wie alle anderen auch, und es ist daher auch nicht für mich verwerflich, universalistische moralische Maßstäbe anzusetzen (im Übrigen verurteile ich Deutschland, die USA, Japan, China, Russland, Syrien, IS, Saudi-Arabien, Iran, Indien, Ungarn etc. genauso gerne. Ja, ich bin vielleicht ein selbstgerechter Armleuchter.). Ich sehe nirgends „böse Juden“ am Werk, sondern einfach nur Menschen, die leider auch Barbarisches denken, sagen und tun- so wie Menschen nun mal sind, wenn sie sich bestimmte Ideologien und Vorurteile zu eigen machen. Andere Faktoren wie in diesem Fall das massive kollektive Trauma der Shoa, das ich nicht kleinreden und relativieren will, das aber auch leider durch die reaktionären Eliten Israels instrumentalisiert worden ist, kommen auch noch hinzu. Dass Sie „jüdische Israelis“ zum monolithischen Nationalkollektiv verallgemeinern, halte ich für ungeschickt von Ihnen- was ist denn mit David Sheen, Gideon Levy, Eran Efrati, Amira Hass, Lia Tarachansky, Shlomo Sand und vielen anderen? Ach ja, ich vergaß. Sind ja alles selbsthassende Juden, bereitwillige Stichwortgeber für die Antisemiten. Genau das Gleiche wie bei Gilad Atzmon, Arthur Trebitsch oder Otto Weininger. Es kann ja gar nicht sein, dass sie einfach nur empört über das sind, was sie erlebt und gesehen haben und sich dagegen engagieren wollen.

      Natürlich ist Israel nicht einzigartig in seinen Verbrechen- mit seinem völkischen Nationalismus, seiner White Supremacy (davon können Palästinenser, Mizrahim, und afrikanische Immigranten nur ein Lied singen), seinem Militarismus, seiner Islamophobie und seiner kolonialen Grundeinstellung ist es nun mal Fleisch vom Fleische des „Westens“- es gibt nichts spezifisch „Jüdisches“ an der Besatzung, der Belagerung Gazas und dem „Rasenmähen“. Aber ein Staat, der sich offensiv als „einzige Demokratie“ (was übrigens nicht stimmt, formal ist der Libanon eine, wenn auch höchst dysfunktionale, Demokratie. Oh, aber es ist ja ein arabischer Staat. Die „Sand niggers“ sind ja alle primitive Judenhasser, über die man kein gutes Wort verlieren darf.) im Nahen Osten darstellt, und seine Kritiker im In-und Ausland aggressiv verleumdet, muss auch zeigen, dass er wenigstens versucht, diesem hehren Selbstverständnis auch entgegenzukommen. Dass Sie sich übrigens bei einem Versuch, mir Antisemitismus zu unterstellen, ausgerechnet auf den ausgewiesenen Rassisten und Chauvinisten Broder (wobei seine geschmacklose Anmerkung durchaus auch auf einen bestimmten Typus „Israelkritiker“ zutreffen mag, mit dem ich nichts, aber auch gar nichts zu tun haben möchte) und das islamophobe Blog „Lizas Welt“ berufen, ehrt Sie leider nicht gerade. Ihnen empfehle ich, zu versuchen, die Gegenseite kennenzulernen, oder mal die Arbeiten von Blumenthal und Sheen zu begutachten. Für den Einstieg erst mal viel „Spaß“ mit: http://www.youtube.com/watch?v=Ze5dbxPO8cU und http://www.blackagendareport.com/content/race-religion-and-rounding-africans-israel . Übrigens: im Gegensatz zu manchen Antideutschen muss ich mir keine Sorgen machen, dass Opa und Oma begeistert „Heil“ gegrölt haben oder bei den Verbrechen des Dritten Reiches zur Stelle waren, und brauche auch deswegen meine Komplexe durch Hyper-Identifikation mit dem Zionismus (den ich dann wie ein guter Antisemit mit dem Judentum an sich gleichsetzen würde) auszugleichen und mich wie ein Kahanist zu gebärden (OK, das war unfair. Und das ging auch nicht an Sie.).

      Und wenn wir noch bei geschmacklosen Bildern sind: was war dann „Protective Edge“ für Sie? Eine kleine Belehrungsaktion für die braunen Untermenschen wahrscheinlich (Antideutsche legen das natürlich im doppelten Sinne aus, schließlich sind doch alle Palästinenser keine Menschen sondern nur die Erben des Großmuftis). Man hätte die Mörder der drei Jungen doch relativ schnell ausfindig machen und vor Gericht bringen können. Die Hamas ist vielleicht verachtenswert und oft barbarisch, doch ein IS ist sie nun wirklich nicht. Wetten, dass dann keine Raketen geflogen wären? Und Tunnel haben bekanntlich mehrere Ein- und Ausgänge, die man auch einfach von einer Seite bewachen und versiegeln kann. Über 2000 Menschen (auf beiden Seiten) wären jetzt vielleicht noch am Leben. Wollen Sie wirklich diese zynische und mörderische Tat der Regierung Netanyahu noch mit dem Jahrhundertverbrechen der Shoa legitimieren? Heißen Sie es auch gut, dass rassistische Mobs („Good night, left side“) israelische Linke und afrikanische Flüchtlinge attackieren? Dass Gideon Levy und Amira Hass Leibwächter anstellen müssen (David Sheens Empörung war so unberechtigt nun auch wieder nicht)? Die Lynchmorde und täglichen Schikanen, den Terror der Siedler (Dinge, die es im Gegenteil zu Gräueltaten, die von Palästinensern begangen werden, kaum in die Schlagzeilen schaffen)? Die Diffamierungen? Der (Un)geist auf den Straßen hat übrigens auch längst die Knesset und die Regierung erreicht. Wirklich liebenswürdige Menschen wie Naftali Bennett, Ayelet Shaked, Moshe Feiglin und Tzipi Hotovely sitzen da. (Ups! Ich mieses dummdeutsches Subjekt. Jetzt haben Sie mich überführt. Habe ich mich doch zu sehr mit der Lage in Israel-Palästina beschäftigt- und doch glatt Israel kritisiert… Das kann ja nur aus Antisemitismus heraus gewesen, nicht etwa aus einem Gerechtigkeitsgefühl oder gar Mitleid heraus). Ach, es macht ja keinen Sinn sich noch mit Ihnen auseinanderzusetzen, es macht ja einfach zu viel Spaß (frei nach HMB), diesmal Täter zu sein oder sich wenigstens mit diesem zu identifizieren.

      PS: Es tut mir Leid, wenn Sie sich durch diese Antwort persönlich angegriffen fühlen. Das ist nicht meine Absicht. Aber Ihr Posting hat mich einfach verärgert. Gut, Sie insinuieren eliminatorischen Antisemitismus bei mir, ich Rassismus (und noch einiges andere) bei Ihnen. Ich kann mir denken, was von Ihnen als Antwort kommt, und was Sie mir persönlich unterstellen werden (wenn überhaupt). Ich kenne die Talking points von Antideutschen und anderen Kahane-Jüngern schon zu genüge. Ich hoffe aber darauf, mich in dieser Hinsicht in Ihnen zu täuschen. Ich entschuldige mich auch für die Länge meines Postings- brauchen Sie sich auch nicht alles anzutun, wenn Sie meinen.

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      1. Ich möchte hier nicht spammen. Ich vermute, dass Herr Lintzel sowieso nicht mehr zu überzeugen ist. Die ganze Thematik lässt sich sowohl im Cyberspace wie auch in der „realen“ Öffentlichkeit viel freier in Großbritannien, den USA oder Israel (in letzterem mitunter aber auch unter Lebensgefahr) diskutieren als hierzulande. Das ist nun mal leider so.

        Aber ich wollte noch klarstellen, dass das Ende des ersten Absatzes missverständlich gelesen werden könnte: Trebitsch, Weininger und Atzmon habe ich gerade als Negativ-Beispiele genannt. Das sind echte selbsthassende Juden, jüdische Antisemiten. Ihre Ideologien verurteile ich und lehne ich ab, und gerade bei Trebitsch und Weininger lässt sich eine gewisse Mitverantwortung für die Shoa nicht leugnen (wie das ja auch z.B. bei Martin Luther der Fall ist). Ich spreche diesen Personen ausdrücklich alle moralische Autorität ab. Sie sind das Gegenteil zu den Personen die ich vorher erwähnt habe (übrigens müsste ich Sand aus der Liste entfernen, da er sich ja gerade nicht mehr als Jude identifiziert); man könnte auch noch Natali Cohen-Vaxberg erwähnen. Aber ob „Jude“ oder „Nicht-Jude“, hier ein Zitat von Will Self:

        „Moreover, surely what’s needed when it comes Israel-Palestine is nuance, and a willingness to see the world in greyscale rather than black-and-white. And to acknowledge the wrongs – indeed, atrocities – committed on all sides, so detaching those corrupted by the exercise of violence from the arena of policy-making.“

        http://www.theguardian.com/books/2014/nov/06/how-i-stopped-being-a-jew-shlomo-sand-unchosen-julie-burchill-review

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        1. Lintzel hat in seiner ersten Antwort genügend Buzzwords geliefert (Broder, lizaswelt), da war schnell alles klar. Dennoch: Der taz-Artikel von ihm ist sehr gut.
          Und du? Selber mal gebloggt? 😉

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          1. (Ich müsste mir echt einen anderen Nickname aussuchen; der war im Affekt ausgewählt). Nein, leider noch nicht. Ich weiß auch nicht, ob die Zeit ausreicht. Das Bedürfnis, „irgendetwas zu machen“ hab ich aber schon. Die ganze Sache („Toiletten-Gate“) hat mich einfach so verärgert und traurig gemacht, dass ich einfach darüber schreiben musste. Als L. dieses Broder-Zitat gebracht hatte, dachte ich später an brennende Synagogen, die Ghettos, die Auslöschung von jahrhundertealten Gemeinden in Mittel-und Osteuropa, die Vernichtungslager und die Mordaktionen der Nazis und ihrer Helfershelfer (denn eigentlich war die Shoa ja auch ein pan-europäisches Verbrechen) und dann wollte er insinuieren- dass ich all das implizit gutheißen würde! Gut, all das habe ich jetzt aufgezählt, aber jeder weiß, dass es so gemeint war. Eigentlich eine abgrundtiefe, nein eine widerliche (D.Sheen: „disgusting“), Beleidigung. Aber so „argumentieren“ ja Antideutsche (gut, ich geb’s ja zu: in manchen Dingen mögen sie ja recht haben, gerade was die Kritik des neuen Nationalchauvinismus hierzulande angeht), aber auch ihre rechtsradikalen Gesinnungsgenossen (nationalreligiöse Zionisten und pi-news-Leser)- und viele, viele wurden durch solche Diffamierungen ja viel schlimmer getroffen. Eigentlich hätte ich statt des langen rants auch einfach mit Jon Stewart antworten können… http://www.alternet.org/speakeasy/tikkundaily/jon-stewart-passionately-speaks-me-all-jews-who-have-been-called-anti-semitic (auch wenn ich selbst weder jüdisch -was das auch immer heißen und bedeuten mag- bin, noch Verwandte in der Shoa verloren habe). Aber nun genug. Vielleicht kann ich zur allgemeinen Erheiterung noch zwei Links beitragen:

            http://jewssansfrontieres.blogspot.de/2014/08/herzls-no-mensch-but-mensch-dont-know.html

            http://www.theguardian.com/books/2014/nov/16/julie-burchill-unchosen-john-crace-digested-read

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