Benedikt und Bibi: Enttäuschte Erwartungen oder erwartbare Enttäuschungen?

Papst Benedikt XVI. steht momentan aus allerlei Gründen in der Kritik. Die Greatest Hits des gegenwärtigen Heiligen Vaters zählt Erhard Bertel in imprimatur 2.2009 auf:

– In seiner Regensburger Rede zum Islam stieß Benedikt [X]VI. allen vor den Kopf, die sich um ein friedliches Miteinander der Religionen bemühen.
– In der Widerzulassung der traditionellen lateinischen Messe glaubt er den Traditionellen einen Köder auszuwerfen, der diese zurückführt in den „Schoß“ seiner Kirche.
– Denjenigen, die die traditionelle Messe wieder feiern, will er nicht zumuten, eine Karfreitagsfürbittezu beten, wie sie nach dem II. Vatikanum in der Liturgie allgemein genutzt wird. Sie erhalten eine neue, vom Papst selbst konzipierte Fürbitte, die von den Juden und vielen in der Kirche als unzumutbar zurückgewisen wird.
– Ohne Rücksprache, selbst mit den Bischöfen vor Ort, löst er die Exkommunikation von vier Bischöfen der Levebvre-Gruppe, unter ihnen einen öffentlichen Holocaustleugner, die alle Bemühungen des Konzils zurückweisen und mit ihrer Wiederaufnahme die Hoffnung verknüpfen, die katholische Kirche in ihrem Sinne zu erneuern und zu verändern.

In derselben Ausgabe der Zeitschrift für kritische Katholiken fasst Johannes Röser, seines Zeichens Chefredakteur von Christ in der Gegenwart, die gegenwärtige Gefühlslage vieler Katholiken treffend zusammen:

Hinzu kommt eine psychologisch verständliche große Enttäuschung nach übergroßen Erwartungen an den Papst bei seiner Wahl vor vier Jahren. Immer wieder hieß es damals, er werde für Überraschungen gut sein. Die Hoffnungen richteten sich darauf, dass ein betont an der Tradition orientierter Theologe als Oberhaupt der Kirche gewisse Reformen besser einleiten könne als andere, ohne die Einheit zu gefährden.

Die Erwartungen an die neue Regierung Israels mit ihrem Ministerpräsidenten Bibi Netanyahu als übergroß zu bezeichnen, könnte falscher nicht sein. Dass ein Vergleich zwischen katholischen Befindlichkeiten („Wir sind Papst!“) und Erwartungen/Befürchtungen bezüglich des weiteren Geschehens in unser aller Heiligem Land nicht nur hinkt, sondern in der Gefahr steht, Äpfel und Birnen ähnlicher aussehen zu lassen als lanläufig angenommen, versteht sich von daher selbstredend.
Und dennoch: Von Konservativen fortschrittliche Impulse erleben zu dürfen bzw. von Progressiven die Knochen gebrochen zu bekommen – all das ist nichts Neues, zumal in Nahost. Und so notiert Menachem Z. Rosensaft:

Klischees sind per definitionem in der Wirklichkeit verwurzelt. Richard Nixons Gang nach China, Charles de Gaulles Abzug aus Algerien, Menachem Begins Rückgabe des Sinai sind Gemeinplätze der Behauptung geworden, dass politische Meilensteine manchmal von den unwahrscheinlichsten Protagonisten erreicht werden.

Genau, schließlich war es eine rotgrüne Bundesregierung, die – Auschwitz als Mittel und Waffe benutzend – den ersten (völkerrechtswidrigen) Angriffskrieg mit deutscher Beteiligung anno 1999 bereitwillig verantwortete. Schließlich war es die Regierung Schröder, die die Agenda 2010 durchdrückte. Schließlich war es der jetzige Außenminister Steinmeier, der sich im Fall Murat Kurnaz zynisch und menschenverachtend verhielt, von Ex-RAF-Anwalt, Ex-Grünem und Ex-SPD-Innenminister Otto Schily ganz zu schweigen. Schließlich und andererseits, so Navid Kermani in seinem neuen Buch Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime, ist es mit Angela Merkel „eine Christdemokratin gewesen, die innerhalb kürzester Zeit erwirkt hat, was zuvor fünf Jahre lang angeblich absolut unmöglich und unverantwortlich war, nämlich die Rückkehr von Murat Kurnaz“ nach aus Guantanamo nach Deutschland.

Darf man von Netanyahu Überraschungen erwarten? Nun hat der neue alte Premierminister ja schon in der Vergangenheit nicht gerade Beliebtheitswettbewerbe gewonnen, und mit Ehud Barak und Avigdor Lieberman hat sich Bibi auch nicht gerade zwei Sympathieträger (das Feigenblatt und der Fascho) ins Boot geholt. Meine Meinung: Wenn es Überraschungen geben sollte, dann nicht in der Frage einer Regelung des Nahostkonfliktes. Es wird keinen Frieden geben, weder mit den Palästinensern, noch mit Syrien, weder in der Frage der Siedlungen in der Westbank noch beim Thema Golan. Leider.
Viel interessanter ist die Frage, wie sich die wichtigsten Global Players künftig zu Israel verhalten werden. Ehud Barak gibt zwar ein treffliches Feigenblatt ab für ein derartig extremistisch geprägtes Kabinett wie das von Premier Netanyahu. Und doch wird gerade die neue amerikanische Regierung unter Präsident Obama eine veränderte Nahostpolitik zu entfalten haben. Ähnliches gilt für die EU und das sog. Nahost-„Quartett“ (gähn) mit seinem Sondergesandten Tony Blair. Und wenn in Berlin mal wieder davon die Rede ist, dass aus Gründen der Staatsräson der deutsch-israelische Schulterschluss geübt werden müsse, dann steht eine Frage dringlicher denn je im Raum: Solidarität mit welchem Israel?
Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Wenn also katholische Christen für die Einheit der Kirche beten: Welche Kirche meinen wir dann?

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