„Ramat Shlomo“

Israels Regierung hat sich die von Hundertausenden getragenen Proteste gegen die eigene Sozial- und Wohnungspolitik  – oder übertreibe ich, wenn ich sage: die Sozial- und Wohnungspolitik jeder israelischen Regierung seit schätzungsweise 1967 – offenbar zu Herzen genommen und sich bei der Begründung dafür, dass Tausende neue Wohnungen im palästinensischen Ostteil Jerusalems gebaut werden dürfen, an jüngsten Ereignissen auf den Straßen Tel Avivs und ganz Israels orientiert:

Israels Innenminister ließ am Donnerstag (11.08.2011) durch seinen Sprecher mitteilen, dass das umstrittene Bauprojekt im Gebiet Ramat Schlomo mit insgesamt 1600 Wohnungen endgültig genehmigt sei. „In den kommenden Tagen“ werde Minister Eli Yishai außerdem dem Bau von 2600 weiteren Wohnungen in den Siedlungen Givat HaMatos und Pisgat Ze’ev zustimmen. Auch diese beiden Siedlungsgebiete liegen im völkerrechtlich nicht zu Israel gehörenden, aber von Israel annektierten Ostteil der Stadt.

Die Bauprojekte seien aus wirtschaftlichen Erwägungen notwendig und würden nicht aus „politischen Gründen“ durchgeführt, betonte der Sprecher weiter. Es solle denen geholfen werden, die bezahlbaren Wohnraum suchten. Auch Regierungschef Benjamin Netanjahu begründete den fortschreitenden Siedlungsbau mit dem Argument, damit würden langfristig die Mietpreise fallen.

Die von mir herüberkopierte Passage ist aus verschiedenen Gründen skandalös: Es fängt schon damit an, dass deren Autorin, Ulrike Quast, die Namen der genannten Siedlungen nicht in Anführungszeichen setzt. Was aber der Hammer ist: Netanyahu instrumentalisiert die prekäre soziale Lage in der israelischen Gesellschaft, um die Praxis des ideologisch motivierten Landraubs an Palästinensern zu rechtfertigen. Wer in diesen Häusern und Wohnungen sein Türschild anmontieren darf, wird sicherlich kein Palästinenser (mit oder ohne israelischem Pass sein).  Zudem stellen die Auskünfte der Regierung einen – nicht einmal uncleveren – Versuch da, die J14-Bewegung gewissermaßen „in Bewegung“ zu bringen, d.h. besagtes Bürgerbündnis aufzuspalten. Bekanntlich besteht J14 nicht ausschließlich aus Gruppierungen und Einzelpersonen, die wie selbstverständlich auch die Rechte von Palästinensern mit im Blick haben.

Worauf es für J14 jetzt ankäme, wäre in der Tat, das Thema „Palästina“ bzw. „Okkupation“ anzugehen. Alien59 moniert ja nicht zu Unrecht, dass „nur ganz am Rande“ zur Sprache gebracht worden sei, „dass die Missstände vor allem auch darauf beruhen, dass ein viel zu großer Teil des israelischen Budgets für Militär und Subventionen für Siedlungsbau ausgegeben wird und dann für anderes fehlt.“ Wäre es möglicherweise jetzt an der Zeit, auch in diesem Punkt in die Offensive zu gehen?

Die israelische Regierung tut, wozu sie sich ausersehen wähnt, und betreibt das Geschäft vieler Extremisten: Unrecht mit Gewalt durchsetzen und dies als soziale Tat ausgeben. Ähnliches wird bekanntlich der Hamas im Gazastreifen und der Hezbullah im Libanon vorgeworfen. Der einzige Unterschied bei Netanyahu und Konsorten: Bei ihnen benutzen politische Kommentatoren hierzulande und in anderen Winkeln und Ecken der sog. „westlichen Wertegemeinschaft“ nicht so reflexartig Vokabeln wie „extremistisch“, „fanatisch“ oder auch „die Zerstörung des Staates Israel betreibend“ wie bei Hamas oder Hezbullah. Warum ist das so?

5 Gedanken zu “„Ramat Shlomo“

    1. Oder, um mit Antje Schrupp zu reden, die einige Gedanken Simone Weils wie folgt bündelt:

      Die Wurzel des Übels sieht Simone Weil in der katholischen Kirche und ihrer Verfolgung von Häresie. Damit war der Grund gelegt, dass das Bekenntnis zur Autorität der Kirche für wichtiger gehalten wird als die wirkliche innere Überzeugung.

      Insofern hält sie es für tragisch, dass gerade diejenigen, die gegen diese kirchliche Autorität angegangen sind – die Aufklärer – mit den Parteien letztlich wieder ein ähnliches System hervorgebracht haben: Jede Partei ist eine kleine Kirche, die nicht der Suche nach der Wahrheit verpflichtet ist, sondern der Verteidigung der Orthodoxie.

      Verteidigung der Orthodoxie – reden wir in unseren Blogs nicht auch dauernd eben davon? Und DANKE für die freundliche Verlinkung :-).

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