Von Volksverhetzung zu Volksverhetzung

Und mit einem Mal regt sich alle Welt auf. Der gestern in der Bild am Sonntag erschienene, vor Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Primitivität nur so schäumende Beitrag von BamS-Vizechef Nikolaus Fest, erregt die Gemüter. Treffend zerpflückt Mats Schönauer die widerlichen Worte Fests. Auch Stefan Niggemeier findet passende Formen, um das Geschwalle als das herauszustellen, was es eigentlich ist: Aggressiver Rassismus. Der Spitze von Bild ist das alles mittlerweile höchst unangenehm. Schlimmer noch für Fest, der sich über Twitter noch über den veritablen Shitstorm freute, der schon kurz nach Erscheinen seines Beitrags angerührt wurde:

Kai Diekmann antwortete in der Ausgabe vom Montag: „Genau solche Auseinandersetzung entlang religiöser Grenzen wollen wir NICHT. Wir wollen sie nicht führen, nicht befördern und nicht herbeischreiben.“ Diekmann verantwortet zwar die Bild, hat aber auf die Berichterstattung der BamS keinen Einfluss. Marion Horn ist die zuständige Chefredakteurin der Sonntagsausgabe. Sie verteidigte Nicolaus Fest zunächst auf Twitter, schrieb dann aber: „Bild am Sonntag hat Gefühle verletzt. Ganz deutlich: Wir sind nicht islamfeindlich! Ich entschuldigte mich für den entstandenen Eindruck.“

Bei Bild streiten sich die Granden also in aller Öffentlichkeit über den manifest gewordenen Islamhass Fests – sorry, kein Wortspiel intendiert.

In den sozialen Netzwerken ereifern sich Muslime und andere über Fest. Nicht nur aufgrund des in seinem Text enthaltenen Rassismus. Auch und gerade ob der zum Himmel speienden Heuchelei, die, so empfinden es viele, von Seiten der Bild vorgeführt werde: Noch kürzlich vergossen Promis wie Maria – „Die Flucht“- Furthwängler  für das Flaggschiff des Hauses Springer Krokodilstränen: Einen neuen Antisemitismus gelte es zu bekämpfen. Dieser mache sich in den europäischen Metropolen breit: auf propalästinensischen Demonstrationen. Schlesinger hat zu den entsprechenden Vorkommnissen, etwa zum Skandieren von „Jude, Jude feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein!“ bereits die richtigen Worte gefunden:

Solche Parolen wollen doch ganz offenkundig eine Volksgruppe treffen und erniedrigen, und nicht etwa eine Politik Netanjahus anprangern.

Evelyn Hecht-Galinski, die zu Radikalität neigende Tochter des früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, die durch ihre zügellosen Äußerungen zum Aushängeschild aller hiesigen Israelfeinde wurde, meint zu solchen Slogans ungerührt “Natürlich sind diese Parolen nicht politisch korrekt.” Oh nein, mit politischer Korrektheit hat das nichts zu tun. Hecht-Galinski übersieht die besondere Qualität solcher Hetzparolen nur deshalb großzügig, weil sie selbst gerne maximal vom Leder zieht.

Die anti-jüdischen Slogans sind und bleiben: Abstoßend. Nicht zu rechtfertigen. Letztlich schlicht unrechtmäßig.

Die Schreihälse  – nicht: alle Demonstrationsteilnehmer! – nehmen den Gazakrieg nur zum Anlaß ihre niederen Instinkte zum Ausdruck zu bringen. Diesem Klientel sollte nicht erlaubt sein, den ansonsten durchaus berechtigten Protest gegen den Gazakrieg und die jahrelange israelische Blockade zu diskreditieren.

Kommen wir von dieser Volksverhetzung zur oben beschriebenen zurück.

Ich wundere mich ein bisschen über all jene, die sich nun über Bild echauffieren. Weder will ich Verschwörungstheorien Vorschub leisten noch sonstwie schlaumeiern, aber verdichtet sich in einem Organ wie Bild – und ich schließe Bild am Sonntag ausdrücklich mit ein in mein Gebet – nicht das, was der mediale Meinungsmainstream der Bevölkerung ohnehin anträgt zu glauben?

Im Gazastreifen werden zumeist palästinensische Zivilisten – auffallend viele Kinder! – abgeschlachtet. Mittlerweile ist die Tausendergrenze überschritten. Auf den Hügeln nahe dieses Elendsgebiets sitzen israelische Schlachtenbummler und machen La Ola dazu. Es sind gerade die sozialen Netzwerke, denen es zu verdanken ist, dass Bilder unvorstellbarer Grausamkeit an die Öffentlichkeit gelangen. Als Vater einer zweijährigen Tochter rauben mir diese Bilder den Schlaf. Die Israelis sind dabei, den Gazastreifen in ein riesiges Massengrab zu verwandeln, in  USA und in Israel von dankbaren, vermeintlichen, Israel-Freunden euphorisch registriert.

In Zeiten wie diesen rücken Bundesregierung und freie Medien in diesem Lande besonders eng zusammen. Die Qualität der Untaten der israelischen Streitkräfte unter der Führung von Ministerpräsident Netanyahu lässt sich mitunter auch daran bemessen, wie hoch die Gefahr eines neuen Antisemitismus eingeschätzt wird. Wie hat es Norman Finkelstein einmal ausgedrückt: „Kill Arabs, cry anti-Semitism“. Ging es nur mir so, oder war es nicht doch auffallend, wie breit sich die Front der neuen Antisemitenjäger in Presse und Politik hierzulande ausnahm? 

 Von FAZ bis stern, von Frankfurter Rundschau bis Kölner Stadtanzeiger, nicht zu vergessen Welt und Bild: Man war sich einig. Mit Gauck. Mit Graumann. Mit Broder. Das Abschlachten der zivilen Bevölkerung des Gazastreifens hat man dabei kaum erwähnt.

 Und Nikolaus Fest hat das alles – ist dies nicht seine Aufgabe? – zusammengefasst und in geballter Form wiedergegeben. Pointiert. Gerade heraus. Und nun ist man entrüstet. In den sozialen Netzwerken. Plötzlich erinnert man sich, dass Anders Breivik gerade mal vor drei Jahren mit seinem Massenmord die Gewaltphantasien hiesiger, ach so kritischer, Islamkritiker in die Tat umsetzte. Nun ist einem das alles unangenehm.

Handelt sich das alles um Theater? Um eine große Inszenierung? Wie gesagt:  Verschwörungstheorien Vorschub zu leisten, ist nicht mein Ding. Dies ist schließlich ein Nahost-Blog. Aber mal ernsthaft: Ist die Causa Fest womöglich als eine Art von Ouvertüre zu deuten? Werden sich in den kommenden Tagen kritische Stimmen gegen Israels Morden in Gaza auch im Meinungsmainstream mehren? Rolf Verleger und der Fotograf Martin Lejeune haben im Deutschlandfunk in zwei höchst unterschiedlichen Interviews den Anfang gemacht. Ich bin auf die kommenden Tage gespannt.

Und bereits jetzt angeekelt.

Wer sich über die Bild entrüstet, hat nichts verstanden. Keinem toten Fisch möchte ich es antun, ihn in entsprechend bedrucktes Papier einzuwickeln. Und für die anderen Blätter gilt: Es geht nicht um Juden, auch nicht um Palästinenser, nur um eigene Befindlichkeiten.

3 Gedanken zu “Von Volksverhetzung zu Volksverhetzung

  1. Die Worte von diesem Fest sagen ja mehr über ihn, als er vermutlich will.

    „… antisemitische Pogrome stören mich mehr, als halbwegs zivilisierte Worte hergeben.“

    Hier ist die (westliche) Zivilisation, dort sind die unzivilisierten Antisemiten. Islamophobie wird auch bei Springer über das scheinheilige Eintreten für die Rechte von Frauen, Homosexuellen, (Juden sowieso) begründet. So geifernd er schreibt, so verlogen und abgelutscht sind seine Worte

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