Eden Abergil und der „Schlaf der Sicherheit“

Facebook ist wieder einmal in die Schlagzeilen geraten. Userin Eden Abergil hat für Aufregung gesorgt – in Israel, wo man ganz bestürzt ist über das, was Abergil während ihrer Armeezeit so alles an Bildern produzierte, und auch anderswo, wo man sich die Augen reibt über ein weiteres PR-Desaster für den Staat, in dessen Namen und für dessen Sicherheit Abergil vor kurzem palästinensische Gefangene mit verbundenen Augen „bewachte“.

Die Empörung in Israel, vor allem in der Armee, ist genau darauf zurückzuführen. Unangenehme Fakten über das Verhalten israelischer Soldaten unter den Bedingungen der Besatzung palästinensischer Gebiete sind ans Tageslicht gekommen, ohne dass man deren Urheber als Antisemiten, jüdische Selbsthasser oder linke Weltverbesserer an den Rand bzw. die virtuelle Wand stellen könnte. Was sich hier aus dem Inneren der israelischen Gesellschaft selbst offenbarte, wird schließlich auf ähnliche Weise von Organisationen wie Breaking the Silence dokumentiert, ohne dass dies in die Schlagzeilen geraten wäre. Nun aber herrscht Befehlsnotstand in Armee, Regierung und Öffentlichkeit. Als hätte man die Uhr danach gestellt, erhält Eden Abergil Morddrohungen – als ob es sich bei ihr und den von ihr veröffentlichten Bildern um einen Einzelfall handeln würde.

Worüber aber ist man, speziell in Israel, so empört? Darüber, das Eden Abergil die Wirklichkeit verkörpert – eine Wirklichkeit, die maßgeblich von Okkupation geprägt ist? Der „Schlaf der Sicherheit“ (aus einem alten Kirchenlied) ist unterbrochen. Nicht von ungefähr spricht die Journalistin Claudia Kühner von „Israels falsche[r] Empörung“ und stellt fest:

Wird solch ein Einzelfall publik, ist das Entsetzen auch in Israel gross. Die Empörung allerdings kann nur deshalb so gross sein, weil die überwältigende Mehrheit die Realität nicht wahrhaben will – Krieg oder Besatzung nämlich, wo Soldaten nicht gegen eine andere Armee kämpfen, sondern seit über 40 Jahren über Millionen von Zivilisten herrschen oder mit Waffengewalt gegen sie vorgehen.

US-Blogger Richard Silverstein kann nur mit dem Kopf schütteln über diese Art gewollten Vergessens – das Schockierende sei der Schock, den Abergils Fotos in Israel ausgelöst haben:

All Israel appears to be SHOCKED, I say shocked, to discover that its soldiers actually taunt and gloat over Palestinians in such a way.  It appears that such Israelis either don’t remember their own service in the Territories or are so old that their service predates the Intifada.  Examples of such photos are so widespread both online and privately that the real shock is that anyone IS shocked.

In einem Zeit-Artikel wird Ishai Menuchin vom Israelischen Kommitee gegen Folter zitiert: Abergils Bilder

spiegelten eine Norm wider, derzufolge «die Palästinenser als Objekte und nicht als menschliche Wesen angesehen werden».

Bleibt für mich die Frage, was sich in besagten Bildern ausdrückt, sprich: wofür sie symptomatisch sind. Spiegeln sich in den Bildinhalten bzw. den Kommentaren, die diese Schnappschüsse auf Facebook erhalten haben, nun genuin Haltungen und Befindlichkeiten ganz normaler junger Israelis von heute wieder? Oder liegt der Hund noch tiefer begraben? Eine interessante, vielleicht ein wenig zu historistische, Interpretation bietet uns Schlesinger in seinem Transatlantikblog an:

Es ist nichts anderes als die “statistische Normalverteilung”. Man nehme eine große Anzahl von Menschen (hier: Soldaten) und versehe sie mit Macht über andere.

Ein bestimmter Anteil davon (egal ob Männlein oder Weiblein) wird sich als Sadist/in zeigen.

Streng genommen hat es auch nichts mit dem Militär zu tun. Dort kann sich Sadismus unter der Bedingung von Krieg oder kriegsähnlichen Umständen wie einer Besatzung nur besonders drastisch zeigen.

Ansonsten genügt auch eine Umgebung wie etwa  “Firma”, “Behörde”, “Kirche”, “Polizei” oder – uups – “Familie”, damit sich der oder die Sadistin zeigen kann…

Menschlich, allzumenschlich. Hat mit Israel nichts zu tun.

Dass Israel dennoch mit im Geschäft bleibt, dafür werden, wenn der Sturm der Entrüstung sich gelegt hat, jene sorgen, die sich Sorgen machen ob des (vermeintlichen) Antisemitismus‘, der sich in der hierzulande ausgedrückten Empörung und Entgeisterung Bahn gebrochen habe. Getreu der These, dass es eben mehr Spass mache, Täter zu sein als Opfer, wird Eden Abergils Verhalten noch goutiert werden. Irgendeiner weiteren ehrlich besorgten Seele wird sicher auffallen, dass sich auf einem der Bilder Abergils ein berühmt-berüchtigter Hamas-Spitzenfunktionär befindet – und noch jemand wird monieren, Palästinenser würden in den Bildern bzw. in der Art und Weise, wie über die ganze Angelegenheit berichtet wird, nicht als handelnde Personen, sondern ausschließlich als Opfer dargestellt. Und von dort aus, wo man nicht tiefer sinken kann, dringt ein verzweifeltes „Pallywood!“ nach oben.

Wovon ich außerdem überzeugt bin: Damit Fälle wie jener der früheren Soldatin Eden Abergil sich möglichst nicht wiederholen, muss Israel seine Besetzung der Westbank, des Golan, Ostjerusalems und seine Blockade des Gazastreifens beenden – nicht nur aus PR-Gründen.

Dieser Artikel ist auch in meinem Freitagsblog erschienen.

3 Gedanken zu “Eden Abergil und der „Schlaf der Sicherheit“

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