Israel-Palästina jenseits „unserer“ Religion

Im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen israelischen Juden und Palästinensern ist viel zu oft von Religion die Rede, obwohl es doch um den Besitz von Land geht. Und wenn zur Abwechslung mal kein fundamentalistischer Christ im Jerusalemer Gartengrab davon faselt, dass Israel niemals Land zurückgeben dürfe, weil sich ansonsten die Wiederkehr Christi noch weiter verzögere (hab‘ ich selbst erlebt so einen Typen und dessen Frau…) oder von islamistisch bedröhnten Suizidbombern, die Allah für ihr Mordwerk missbrauchen oder vom Chef-Rabbi der israelischen Armee, der all jenen die ewige Verdammnis verheisst, die „im Felde“ Gnade walten lassen im Umgang mit dem Feind – wenn all das mal keine Rolle spielt, sind wir schnell bei Befindlichkeiten, die be- und gehandelt werden, als seien sie Glaubens- oder Religionsersatz.

In einer Zeit, da man von „Freiheit“ spricht, die es zu feiern und zu verteidigen gilt, indem man sie abschafft, und Israel-Palästina sagt, aber „wir Deutschen“ meint, wird all das, was getan wird, damit sich der Mensch nicht allzu schäbig vorkommen muss, zum einzig verbliebenen Heiligtum. Und weil es so billig ist und so schnell Schmerzlinderung zu erbringen scheint, verfallen nicht Wenige dem Ticketdenken. Solange das Israelfähnchen munter geschwungen wird, ist es egal, dass man „ansonsten“ ein Rassist ist, zumal ein deutscher! Solange der Staat Israel bedenkenlos gleichgesetzt wird mit dem Gottesvolk, ist es nicht weiter schlimm, gegen Araber und sonstige „Orientale“ jene Bigoterie zum Vorschein kommen zu lassen, die man sich ansonsten pflichtschuldigst selbst verbietet. „Israel“ verkommt immer mehr zum Deckel überm Unrat. Dass es dabei nicht um die Realität vor Ort geht, sondern vielmehr um die Wahrnehmung derselben, ist eine Basisbanalität sondergleichen und hier schon oft thematisiert worden.

Und wir haben uns gut eingerichtet. Bei meinem ersten Jerusalembesuch Mitte der 1990er-Jahre war ich beinahe froh, ein antiisraelisches Graffiti an einer Hauswand in der Altstadt zu entdecken, half es mir doch aus der Verlegenheit heraus, mein eigenes Weltbild vielleicht  doch einmal hinterfragen zu müssen, nachdem ich gesehen hatte, wie eine Gruppe israelischer Soldaten bzw. Grenzpolizisten einen palästinensischen Jungen gemeinschaftlich verprügelten. Ob hierzulande, wo man so verzweifelt ist auf der Suche nach dem von Thomas Mann behaupteten „anderen Deutschland“, dass man Israel entweder als Heilsmittel zu vergöttern oder aber als Gift zu dämonisieren neigt – oder in den USA, wo das links-liberale Bürgertum seit Jahr und Tag das Prinzip PEP, progressive except Palestine, verinnerlicht hat. Phil Weiss, dessen Blog auf mich eine so inspirierende Wirkung hat ausüben können, dass ich selbst begann, besagter Leidenschaft zu frönen, verzweifelt immer wieder und ausführlich ob dieser selbstgewählten Unmündigkeit, die freilich im Gewande der höchstmöglichen Zivilisiertheit daherkommt.

Angesichts des neuerlichen Scheiterns einer US-Regierung, der Botschaft des Friedens in Nahost einen Mehrwort zukommen zu lassen, der jenen eines gerngehörten rhetorischen Stilmittels übertrifft, scheint sich im links-intellektuellen Milieu in Weiss‘ Umfeld der diskursive Wind zu drehen. Nicht nur Israel wird allmählich mit anderen Augen gesehen wie bisher, man erschrickt zuweilen über sich selbst. Weiss zitiert die Gastgeberin der zuletzt von ihm besuchten Party:

„I believed it all. When the Life Magazine cover came out after the 1967 war, with the Israelis on the tank, I thought, This is really a miracle. The people who were almost wiped out in the Holocaust have been reborn. They’re so goodlooking, and they have kibbutzes, they’re on the land, and they won’t be defeated. I never thought that it involved displacing other people. I’ve come to think that I was brainwashed.“

Wie sagt der von mir überhaupt nicht geschätzte DFB-Chefideologe Theo Zwanziger? Man darf sich nicht beruhigt zurücklehnen? Tun wir hierzulande genug, um uns selbst und unsere eigene Gehirn-Gewaschenheit wahrzunehmen? Es ist wohlfeil und heuchlerisch, mit dem Finger genüsslich gen Übersee zu zeigen.

Zerschlagen wir unsere eigene Religion. Entlarven wir sie aber vorher noch als das, was sie ist: Eine riesengroße Ego-Show.

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