Pax Christi: „Mit der Verschärfung der Lage im Nahen Osten sehen wir die Notwendigkeit einer Aktualisierung der Position der Doppelten Solidarität.“

Mit Interesse, aber auch Verwunderung, habe ich den Beschluss „Ungeteilte Solidarität“, mit großer Mehrheit auf der diesjährigen Deligiertenversammlung von Pax Christi in Fulda, gelesen. Für einige Jahre arbeitete ich in der Nahost-Kommission von Pax Christi mit und gehörte immer zu Befürwortern eines Verständnisses von Friedensarbeit, das geprägt war von Doppelter Solidarität. Solidarität mit Palästinensern, Solidarität mit Israelis. Die entsprechende Position hat nun eine, wie es in dem Beschluss heißt, „Aktualisierung“ gefunden. In der betreffenden Passage heißt es: „Pax Christi: „Mit der Verschärfung der Lage im Nahen Osten sehen wir die Notwendigkeit einer Aktualisierung der Position der Doppelten Solidarität.““ weiterlesen

Das Grundrecht auf Sehnsucht nach dem Heiligen

Eine große Schwäche im sich links verstehenden, säkularistischen Diskurs, liegt oft im Übergehen der Tatsache, dass jeder Mensch ein Grundrecht auf Glauben hat. Gemeint ist damit nicht bloß das Recht auf freie Meinungsäußerung oder der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft, gemeint ist damit gerade auch die Würdigung des Umstandes, dass sich Menschen oft nach jenem sehnen, was sie als heilig, d.h. als unbedingt zu verteidigen und hochzuschätzen, ansehen. „Das Grundrecht auf Sehnsucht nach dem Heiligen“ weiterlesen

Über Solidarität, dummes Gesprächsverhalten, Ehrenmorde und Diskurshoheit

In diesem Blog geht es oft um Solidarität, und vielfach wird Kritik geübt am hiesigen Meinungsmainstream, der den Staat Israel zum alleinigen Beurteilungsmaßstab bezüglich aktueller Entwicklungen und Ereignisse vor Ort zu machen. Kritik an Israel und Solidarität mit den Opfern der seit 1948 andauernden Nakba führen einen oftmals in Versuchung, über Missstände auf arabischer bzw. palästinensischer Seite hinwegzusehen. „Über Solidarität, dummes Gesprächsverhalten, Ehrenmorde und Diskurshoheit“ weiterlesen

Rensmanns Rezept

Lars Rensmann hat gar nicht einmal unrecht, wenn er in seinem im Rahmen der von der taz veranstalteteten Israel-Kolumne erschienenen Artikel „Wir Israel-Kritiker“ auf Abgründe vermeintlicher Palästinasolidarität hinweist – und „manche[n] Linken“ nichts Anderes vorwirft als Winnetou-Romantik:

Manche Linke spielen den islamistischen Antisemitismus jedoch herunter. Sie schauen weg, wenn islamistische „Märtyrer“ judenfeindliche Gesänge anstimmen oder einem Gewaltkult frönen, und fühlen sich selbst dann noch moralisch überlegen, wenn sie mit türkischen Rechtsradikalen in einem Boot sitzen. Dies kündet von einem „verdrehten Orientalismus“ unter postkolonialen Vorzeichen, der die Leiden der Palästinenser instrumentalisiert. In Reproduktion romantisierender Vorstellungen vom „edlen Wilden“ erscheinen die Palästinenser als grundsätzlich gut und immer als Opfer, nicht aber als handelnde Subjekte mit eigenen Ideen und eigener Verantwortung. Solche Schwarz-Weiß-Malerei führt zwangsläufig zu Zerrbildern – nicht nur von der israelischen, sondern auch von der palästinensischen Gesellschaft mit ihren inneren Konflikten, Widersprüchen und Akteuren. Wem es aber um die Rechte der Palästinenser geht, der muss auch die Hinrichtungen von Dissidenten, die Entrechtung von Frauen und Schwulen durch die Hamas in Gaza oder die systematische Ausgrenzung der Palästinenser im Libanon erwähnen.

Stattdessen plädiert Rensmann für eine Perspektive, die er den „kosmopolitische[n] Blick“ nennt. Mein Problem mit dieser Perspektive: Sie ist weder kosmopolitisch, noch weist sie auch nur den geringsten Blick für irgendetwas auf. „Rensmanns Rezept“ weiterlesen

Gutes Video, aber das Beiwerk…

Einerseits ist das hier gezeigte Video von der gewaltsamen Räumung und Zerstörung des Beduinendorfes Al-Araqib sehr eindrucksvoll und bestürzend. Doch angesichts der Überschrift und der Kommentare wird einem mal wieder schlagartig bewusst, durch welch tiefe Sümpfe an Mist und Bullshit man zuweilen gezwungen ist zu waten und in welch fragwürdige Gesellschaft man sich offenbar unweigerlich begibt, wenn man sich in Solidarität mit den Opfern staatlicher und rassistischer Gewalt üben möchte. Obgleich in englischer Sprache verfasst, kommt einem echt die Kotze hoch.

Ist es ein Wunder, dass es weder zwischen Israelis und Palästinensern, noch zwischen den verschiedenen Seiten der einen Solidaritätsmedaille seit eh und je nicht das Geringste zu besprechen gibt? Die Schamlosigkeit, mit der sich die Ultras aus beiden Fanlagern zunehmend bei der Geschichte bedienen, um passend zu machen, was nicht passen will, lässt mich schaudern. In diesem Fall scheinen diverse Schattenexistenzen nur auf sowas wie die Räumung und Zerstörung von Al-Araqib gewartet zu haben, um sich wieder einmal nach Herzenslust dem eigenen Hass hinzugeben. Wie so oft spielen die Opfer der israelischen Gewaltaktion in den Kommentaren eine, milde ausgedrückt, periphäre Rolle.

Daniel Bax über die große proisraelische Nebelmaschine

Ob es Irans Präsident Ahmadinejad wirklich möglich ist, „an alte Wunden [zu] rühren“, sei einmal dahingestellt. Ansonsten halte ich Daniel Bax‘ Artikel „Wir Israelversteher“ für den bisher gelungensten Beitrag in der taz-Debattenreihe „Unser Israel“. Von Ausnahmen (z.B. Tsafrir Cohen und Muriel Asseburg) abgesehen, haben sich die bisherigen acht Artikel zu dieser Reihe als so dermaßen unverdaulich, unverträglich, wenn nicht unerträglich ausgemacht, dass man nur den Hut ziehen kann vor Schmok, der sich in seinem Blog die Mühe macht, besagten Klumpatsch zu analysieren und zu kommentieren. Ich könnte und wöllte das nicht!

Daniel Bax‘ Text liefert eine Abrechnung mit jener staatlich verordneten, aber auch innerhalb der hiesigen Linken immer weiter grassierenden, Israel-Solidarität, bei der man nicht weiss, welche ihrer Ingredenzien brechreizerregender sind – ihre Empfänglichkeit für Propaganda, diverse historische Kurzschlüsse oder aber ihre Selbstgerechtigkeit:

Denn in wenigen Ländern kann Israels Politik mit so viel Verständnis rechnen wie hierzulande. Das gilt nicht nur mit Blick auf Bundeskanzlerin Angela Merkel oder die Zeitungen aus dem Axel-Springer-Verlag, deren Vorstandschef Mathias Döpfner einmal voller Ernst von sich sagte, er sei „ein nichtjüdischer Zionist“. Das trifft auch auf vermeintlich „linke“ Blätter wie Konkret oder Jungle World zu, die Israel bevorzugt als Opfer ausländischer Mächte zeichnen und sogar seine rechte bis rechtsextreme Regierung mit Inbrunst verteidigen.

Überzeugend, mutig, aber auch notwendig, dass Daniel Bax die Verfechter einer Israelsolidarität beim Namen nennt, die „Israel“ nur benutzt, um den je eigenen Hass zivilisiert erscheinen zu lassen:

Es ist ja kein Zufall, dass unter den größten Israelfans auch die schärfsten Islamgegner zu finden sind – und umgekehrt. Ob Henryk M. Broder, Ralph Giordano, der holländische Rechtspopulist Geert Wilders oder Internet-Hetzblogs wie Politically Incorrect – sie alle preisen Israel als Vorbild und plädieren dafür, Muslime in Europa zu diskriminieren.

Solche Polemik wird von Bax eingebunden in eine überzeugende Argumentation, in deren Verlauf er bei der Betrachtung der hierzulande „herrschenden“ Israelsolidarität sehr wohl zu differenzieren weiss zwischen harmloser Schwärmerei und gefährlichem Hass. Was mich besonders für den Artikel einnimmt, ist die Tatsache, dass Bax sich nicht lang aufhält mit zeremoniellem Gerede über die – ja zweifellos vorhandene, aber dennoch wirklich bis zum Ausgelutschtsein besungene – besondere Verantwortung Deutschlands für Israel. Beschwörungshülsen und quasi religiöse Bekenntnisformeln lenken ab und vernehbeln. Wer nach „unbedinger“ Solidarität – mit Israel, den Palästinensern, den Schlümpfen – ruft, ist Teil der Nebelmaschine. Zudem entgeht Bax dem Kurzschluss, Israel ohne Not gleichsetzen zu müssen mit allen Juden und Jüdinnen in diesem Firmament – wir wissen von Marc H. Ellis: Der Staat Israel ist nicht gleichzusetzen mit dem Judentum.

Wer sich bewusst in Solidarität mit dem jüdischen Staat üben will, kommt an jenen Fragen, die Bax am Ende seines Artikels stellt, nicht vorbei – da kann der Ruf nach Unbedingtheit noch so laut schallen:

Der Ruf nach unbedingter „Solidarität mit Israel […] lenkt von anderen, wichtigeren Fragen ab: Kann ein Demokrat gezielte Tötungen von „Terroristen“ (wer immer diese als solche definiert) als Mittel der Politik gutheißen? Kann er die Besatzung und den Siedlungsbau im Westjordanland, Blockade und Bombardierung des Gazastreifens unterstützen? Oder zumindest begrüßen, dass die deutsche Kanzlerin dazu kaum Kritik äußert aufgrund unserer „Verantwortung für den Holocaust“?

Gehört es also zu den Lehren aus der deutschen Geschichte, eine rechte Regierung zu unterstützen, die Friedensgespräche ablehnt und von einem Israel bis zum Jordan träumt? Es ist ja kein Geheimnis, dass deren Positionen kaum mit den Werten westlicher Demokratien zu vereinbaren sind.

Mit Israel mag uns viel verbinden. Ein Grund, begeistert seine Flagge zu schwenken, wie manche Israelfreunde das tun, ist es nicht.

Auch wenn ich mich zu „uns“ (Bax) nicht einfach dazustellen möchte: Auch hier hat der Autor nicht unrecht. Dass so ein Text in der taz stehen darf!

Solidarität mit Israel heisst auch: Eingestehen, dass den Palästinensern Unrecht widerfahren ist.

Dem Hinweis des geschätzten Betreibers von Gigi’s Sandbox ist es zu verdanken, dass ich soeben gut eine Stunde mit dem Hören der vertonten Version des Textes „Befind­lich­keit im Blick” von Marcus Hawel habe verbringen dürfen. „Solidarität mit Israel heisst auch: Eingestehen, dass den Palästinensern Unrecht widerfahren ist.“ weiterlesen

Stephan Grigat ihm sein Dezisionismus

Pünktlich zum Erscheinen einer neuen Biographie Carl Schmitts, einem der Kronjuristen des Nationalsozialisten und „Vater“ des Begriffs einer politischen Theologie, sowie Stifter der Idee des Dezisionismus, fordert Stephan Grigat in seinem – vom Titel her an Kohelet gemahnenden – Text „Zeit der Entscheidung“ die Weltöffentlichkeit auf, sie möge sich endlich entscheiden zwischen Israel und dem Iran. „Stephan Grigat ihm sein Dezisionismus“ weiterlesen

„Solidarität“ oder: „Wer ist der Böse?“

Sich auf US-Medienberichte stützend, berichtet die taz soeben mit einem fetten Fragezeichen im Titel, Israel habe anscheinend den Sudan angegriffen. Jedenfalls hätte es von israelischer Seite kein Dementi dafür gegeben, dass israelische Kampfjets „im Sudan einen Konvoi angegriffen haben, der Waffen für militante Palästinenser im Gazastreifen transportierte. Bei dem Angriff sollen 39 Menschen aus Sudan, Eritrea und Äthiopien ums Leben gekommen sein, berichtete CBS am Donnerstag unter Berufung auf US-Regierungskreise. Die 17 Lastwagen seien dabei zerstört worden.“
Abgesehen von der eigentlichen besorgniserregenden Nachricht habe ich auf die bis dato gegebenen Kommentare geachtet. Da dies kein Nachrichten-, sondern ein Befindlichkeitsblog ist, hat es mir folgende Aussage eines Holger Hübner besonders angetan:

Und dann setzt die friedliebende Hamas oder einer ihrer ebenso friedliebenden Verbündeten armen palästinensischen „Flüchtlingsorganisationen“ die Waffen gegen das agressive Israel ein. Da sind nämlich die Bösen! [Hervorhebung durch Printe] Oder wie?“

Wohl ungewollt – bringt der kommentierende taz-Leser eindrucksvoll auf den Punkt, worum es bei der Nahost-Solidarität mit wem auch immer nicht gehen kann: Solidarität als Beantwortung der Frage, wer der Böse ist? Solidarität als Dezisionismus? I don’t think so…

Solidarität, die durch den Magen geht


Weiss Gott, ich kann der Betreiberin des Blogs Tel Aviv Sequenzen wirklich nicht in allen Aussagen zustimmen. Die „unerträglich[e]“ mediale Berichterstattung sei schuld daran, so schrieb sie Anfang des Jahres im Kontext der israelischen „Operation“ in Gaza, dass in der Türkei ein Freundschaftsspiel zwischen einem türkischen und einem israelischen Basketballteam abgebrochen werden musste. Kann man so sehen, muss man aber nicht. Im Übrigen: Wenn Spiele abgebrochen werden, dann aufgrund der Übermacht hirnamputierter Vollidioten…
Was immer Israel mache, alles werde gegen es ausgelegt. Und wieder: Kann man so sehen, muss man aber nicht…
Aber dann kommt sie auf eine Demo in Berlin zu sprechen: „Solidarität mit Israel“. Und was sie dann schreibt, ist an Schönheit kaum zu überbieten.

„Am 11.Januar.2009 wird in Berlin zur ‘Solidarität mit Israel’ aufgerufen.
Diese Art der Solidaritätsbekundung spricht mich nicht an.
Natürlich solidarisiere ich mich mit Israel, aber das ist nicht der Punkt.
Mit welcher Botschaft würde ich mich zum jetzigen Zeitpunkt am ehesten identifizieren. Welche Demonstration würde ich mir in Berlin wünschen.
Wen will ich auf den Strassen sehen, um ein kleines Zeichen zu setzen, um einen Funken der Hoffnung und Menschlichkeit zu spüren.
Das Motto: „Juden und Araber weigern sich Feinde zu sein“ könnten wir direkt aus Tel Aviv hierher importieren.
Nach der Kundgebung würde am Görlitzer Park eine lange Esstafel auf uns warten, garniert mit den entsprechenden kulinarischen Spezialitäten.
Musiker würden den Park beschallen – das Leben wäre für einige Stunden schön, bunt und lecker. [Hervorhebung von Printe]
Die Menschen, die in Tel Aviv auf die Strassen gehen und „Juden und Araber weigern sich Feinde zu sein“ rufen, sind ganz bestimmt keine ‘Israelhassenden Israelis‘. Sie haben, genau so wie ich, diesen Teufelskreis satt, fürchten zu recht den Bumerangeffekt. Sie haben Angst. Sie sehnen sich nach Stabilität, dass endlich Ruhe in die Region einkehrt, dass die Bühne für die Diplomatie freigemacht wird.“

Solidarität hat immer mit den eigenen Befindlichkeiten zu tun. Das kann unangenehme Folgen haben, wie so mancher bestätigen mag, der beispielsweise in seiner Familie generationenübergreifend über Israel/Palästina etc. disktutiert hat; das kann sich aber auch famos auswirken auf das eigene Wohlbefinden – besonders wenn bei den eigenen Befindlichkeiten die Zeichen auf Hunger!!!! und Lust auf gute Musik!!! stehen. Zum letzten Punkt fällt mir noch ein: Checkt mal The Unternationale aus (wieder vielen Dank an Cheb)!